Opel Diplomat B 5.4 S

 

Erschienen in der Auto Motor Sport vom 17.01.1970

 

American Way

Der Name Diplomat ist noch neu im Opel-Reich. Vor dem Krieg war er von Adler gepachtet und bezeichnete dort ebenfalls das größte und teuerste Modell.

Bei Opel war er zunächst nur für die Ausführung mit amerikanischem V-Achtzylindermotor bestimmt. Heute gibt es den Diplomat auch mit 2,8-Liter-Sechszylindermotor. Er entspricht dann in den Fahrleistungen dem Admiral E, über den Auto Motor Sport in Heft 15/1969 berichtete. Der damals gefahrene Admiral E vermochte nicht zu erfüllen, was von der völlig neu konstruierten großen Opel-Limousine zu erwarten war.

Der Wagen erwies sich als dröhn- und vibrationsfreudig, das Schluckvermögen der Federung enttäuschte, die Lenkung reagierte empfindlich auf Fahrbahneinflüsse. Auch an der Karosserie war einiges auszusetzen.

Da die ersten, in Nizza der Presse vorgestellten Exemplare diese Mängel nicht hatten, war eine Differenz zwischen Sollzustand und Serienzustand zu vermuten, Auto Motor und Sport legte darum der Adam Opel AG nahe, für den Diplomat-Test einen Wagen in Sollzustand zur Verfügung zu stellen.

Das ist insofern legal, als es jeder Automobilfirma freisteht, Testwagen durch Kontrollen und Nacharbeiten in den Sollzustand zu versetzen. Das bedeutet natürlich nicht, daß jeder Serienwagen im gleichen vorbildlichen Zustand das Werk verläßt.

Nach dem Admiral-Test erhielt die Redaktion viele Briefe von Opel-Fahrern, bei denen die im Test beschriebenen Mängel auftraten. Aber auch von anderen, deren Admiral oder Diplomat besser war.

Die Testresultate bei einem gut vorbereiteten Wagen zeigen, was aus der Konstruktion herauszuholen ist. Dem Wagenbesitzer können sie Anhaltspunkte dafür geben, ob sein Wagen dem Sollzustand entspricht oder ob er fertigungsbedingte Mängel ausweist.

Fahrwerk: Verbesserungen

Schon der erste Fahreindruck mit dem Diplomat ließ erkennen, daß die Vorbereitung eine Rolle spielt, denn der Testwagen erwies sich als komfortables und kultiviertes Automobil. Die Abstimmung der Federung war gegenüber dem Admiral-Testmodell deutlich besser und zeigte, daß die neue, aufwendige Hinterachskonstruktion mit guten Einzelradaufhängungen konkurrieren kann.

Der Vorteil der DeDion-Achse (leichtes, starres Achsrohr, am Wagenboden befestigtes Differential mit Doppelgelenk-Antriebswellen) liegt in den geringen, ungefederten Massen.

Damit er zur Geltung kommen kann, bedarf es einer sorgfältigen Fertigung der Aufhängungsgelenke und hochwertiger Stoßdämpfer. Wie man so schön sagt: von nichts kommt nichts.

Diese Opel-Achse wirkt zwar nicht ausgesprochen weich – das kann man von einer Federung nicht erwarten, die bei 40 km/h ebenso einwandfrei arbeiten soll wie bei 180 km/h.

Aber sie schluckt doch alle jene Unebenheiten, die sich unangenehm auswirken würden, und liefert sowohl in der Stadt als auch auf der Autobahn einen angenehmen Federungskomfort.

Besonders mit langen Bodenwellen wird sie sehr gut fertig, die kleineren sind deutlicher zu merken.

Eine gewisse Dröhnempfindlichkeit war nach wie vor festzustellen.

Der Testwagen hatte Continental Radial Sommergürtelreifen, die sich zwar im Komfort als gut erwiesen, aber ein ständiges brummendes Laufgeräusch (ähnlich dem Geräusch von Spike-Reifen) ertönen ließen, das schon bei Stadtgeschwindigkeit deutlich zu hören war, bei 100 km/h seine größte Stärke erreichte und erst bei höherem Tempo in den allgemeinen Fahrgeräuschen unterging.

Da die Diagonalreifen auf dem Admiral ebenfalls nicht überzeugend waren, scheint es noch keine Ideal-Lösung für das Reifenproblem beim großen Opel zu geben. Ein Poltern der Radaufhängungen war ebenfalls zu vernehmen, fiel aber nicht so auf wie beim Admiral.

 

Die Straßenfühligkeit der Lenkung, die beim Admiral sehr störte, trat beim Diplomat nicht auf. Das hängt zum großen Teil wohl damit zusammen, daß der Diplomat mit Servolenkung ausgerüstet war, der Admiral dagegen nicht. Die Servolenkung erleichtert ja nicht nur das Kurvenfahren, sondern auch das Ausgleichen von abdrehenden Einflüssen durch Fahrbahnneigung oder Seitenwind. Die ständigen Korrekturen entfielen, der Diplomat zeigte nicht die Neigung, „der Straße nachzulaufen“. Die Servolenkung arbeitet und ausreichend direkt. Auch beim Rangieren läßt sich das große Auto ohne Mühe lenken, anerkennend muß vermerkt werden, daß bei etwas gerecktem Hals alle vier Ecken für den Fahrer erkennbar sind.

Das ist bei der langen Haube allerdings auch nötig. Die Bremsen, die schon beim Admiral gute Standfestigkeit und gleichmäßige Wirkung bei geringer Pedalkraft aufwiesen, zeigten sich der höheren Leistung und dem vermehrten Gewicht gewachsen.

Die Fahreigenschaften waren auch beim Admiral schon sehr gut. Geradeauslauf und Kurvenverhalten bieten eine hohe Sicherheitsreserve. Gegen Verreißen der Lenkung ist der Opel unempfindlich, im Kurvengrenzbereich übersteuert er ganz leicht und kann durch geringes Zurücknehmen des Lenkeinschlags gut unter Kontrolle gehalten werden.

Unter winterlichen Fahrbedingungen zeigt der Diplomat eine gute Richtungsstabilität. Wie alle Autos mit Standard-Antrieb neigt er beim Gasgeben auf glatter Fahrbahn zum Ausbrechen mit dem Heck, besonders in unbeladenem Zustand. Da der drehmomentstarke Motor auf Schnee oder Eisglätte die Räder auch im großen Gang mühelos durchdrehen läßt, ist vorsichtiger Umgang mit dem Gaspedal notwendig. Winterreifen sind unbedingt zu empfehlen, sobald man sich auf bergige, winterliche Straßen begibt. Last im Kofferraum vermag die Anfahr- und Steigfreudigkeit zu verbessern.

Motor: luxuriös

Der größte Vorzug des 5,4-Liter-V8-Motors besteht darin, daß von ihm nicht viel zu bemerken ist.

Man hört ihn kaum, man spürt lediglich die bei jeder Geschwindigkeit gute Beschleunigung und die reichliche Kraftreserve am Berg.

Die Getriebeautomatik trägt ebenfalls dazu bei, daß man an den Motor keine Gedanken zu verschwenden braucht.

Mehr als Gasgeben und Gaswegnehmen hat man nicht zu tun.

Die Automatik schaltet fast immer unmerklich, denn bei dem drehmomentstarken Motor können die Schaltpunkte niedrig gelegt werden. Eindrucksvoll war wieder einmal das schnelle und exakte Reagieren der Automatik auf Wählhebelbewegungen.

Ein großvolumiger Achtzylinder mit hydrodynamischem Drehmomentwandler und Automatik ist noch immer die angenehmste Auto-Antriebsart.

In den USA ist diese Kombination fast der Normalfall, bei uns muß sie als Luxus gewertet werden. Mit dem 2,8-Liter Einspritz-Sechszylinder bietet der Opel eine überlegenswerte Alternative.

Im Admiral E hatte dieser Motor einen ausgezeichneten Eindruck gemacht, in Verbindung mit der neuen Opel-Automatik ist er eine kostengünstigere „europäische“ Lösung. Deroptisch große Leistungsunterschied – 165 PS beim Einspritz-Sechszylinder gegen 230 PS beim Vergaser-V8 – tritt beim Fahren wenig in Erscheinung.

Zwar hat der V8 ein weit höheres Drehmoment, aber dafür reagiert der Sechszylinder feinfühliger auf Gaspedalbewegungen und wirkt dadurch lebendiger, obwohl er in den echten Leistungswerten unterlegen ist. Hier ein Vergleich von Meßwerten beider Testwagen:

  5,4-Liter V8 2800 E
0 - 100 km/h 10,0 s 11,7 s
0 - 140 km/h 19,7 s 23,0 s
0 - 160 km/h 26,6 s 34,1 s
40 - 120 km/h 10,8 s 12,2 s
stehender Kilometer 31,0 s 32,9 s
     
Höchstgeschwindigkeit 202,0 km/h 190,5 km/h
     
Verbrauch Landstraße 70 km/h 18,4 l/100 km 17,2 l/100 km
Verbrauch Autobahn 120 km/h 18,1 l/100 km 17,5 l/100 km
Verbrauch Kurzstrecke 20,5 - 25,5 l/100 km 18,0 - 21,5 l/100 km

Die Verbrauchswerte zeigen besonders deutlich, daß die Leistungsreserve und das Prestige des 5,4-Liters bezahlt werden müssen. Als Höchstwert kamen wir, wenn auch unter ungünstigen Bedingungen, auf 25 Liter/100 km. Keine Frage, daß der Einspritz-Sechszylinder eine wirtschaftlichere, fahrerisch durchaus nicht undankbare Lösung darstellt. Die Vorteile des Achtzylinders liegen hauptsächlich im Komfort – er läuft bei höherer Geschwindigkeit noch ruhiger – und in der höheren Spitze. Für schnelle Autobahnreisen ist der V8-Diplomat zweifellos eines der komfortabelsten Fahrzeuge auf dem europäischen Markt. Er ist die bisher beste Übertragung  des „American Way of Driving“ auf europäische Verhältnisse.

Karosserie: dezent

Im Gegensatz zum penetranten Himmelblau des Admiral-Testwagens (sogar das Lenkrad war blau) präsentierte sich das Interieur des Diplomat in Schwarz und imitierter Holzmaserung. Lediglich der Dachhimmel war weiß, außen kontrastierte der dunkle Kunststoff-Dachüberzug zum grausilbernen Karosserielack. Im ganzen also eine dezente Zusammenstellung, die sich mit dem perfekten Styling und dem seriösen Image des Diplomat gut verträgt. Der trotzdem spürbare amerikanische Einschlag ist nicht jedermanns Geschmack, aber auch formal ist eine Angleichung an die mehr sachlichen, europäischen Vorstellungen erreicht worden.

Daß es trotzdem einige Styling-Zugeständnisse gibt, war schon im Admiral-Test notiert worden: die Instrumente sitzen sehr tief und neigen zu Spiegelungen, an Heizungsbetätigung und Radio ist – besonders angeschnallt – schlecht heranzukommen.

Die Drucktastenleiste über dem Armaturenbrett läßt sich nur dann bequem erreichen, wenn man dicht am (sehr weit in den Innenraum ragenden) Lenkrad sitzt.

Das Regeln der Wischergeschwindigkeit mit zwei getrennten Drucktasten ist recht umständlich: für Wischer-Schnellbedienung steht nur ein sehr schwergängiger Wisch-Wasch-Fußschalter zur Verfügung.

Als Quelle des Ärgers erwies sich die versenkte Anordnung der Wischer vor der Windschutzscheibe.

Die Wischer brauchen nicht nur sehr viel Zeit (mehr als eine Sekunde), bis sie aus ihrem Versteck auftauchen, sondern sind auch sehr den Unbilden des Winters ausgesetzt. In der Wischer-Rinne sammelt sich Schnee an, der oft zunächst taut und dann – in der Nacht – zu Eis gefriert.

Sie müssen von diesem Eis befreit werden, ehe sie einwandfrei wischen. Das ist eine mühsame Arbeit, weil die Wischer nicht – wie bei anderen Autos – einfach nach vorn geklappt werden können.

Einfrierempfindlich sind auch die Seitenfenster und – bei ungünstigen Bedingungen – die Türschlösser.

Als hervorragend erweist sich dagegen im Winter die Heiz- und Defrosteranlage – es ist immer warm im Auto und man hat nie Ärger mit beschlagenen Scheiben. Lob verdienen ebenfalls die Sitze, die trotz weicher Polsterauflage eine gute Stützwirkung und Seitenführung bieten.

Erstmals ging Opel beim Diplomat vom Einschlüsselsystem ab und bietet einen Zweitschlüssel, der nur für Türen, Lenkschloß und Tankschloß paßt, nicht dagegen für Handschuhkasten und Kofferraum.

Resümee:

Der 5,4-Liter V8-Diplomat im Sollzustand machte deutlich, daß Opel sich gegen die Mercedes-Konkurrenz gut gerüstet hat. Wie sich im direkten Vergleich gegenüber dem 3,5-Liter-V8 aus Untertürkheim ausnimmt, wird Auto Motor Sport bald feststellen. Eines ist schon jetzt sicher: im Preis liegt er, nachdem nun alle Preiserhöhungen über die Bühne gegangen sind, um DM 6.638,-- günstiger.

Opel hat es also geschafft, den technischen Rückstand zu vermindern und trotzdem die günstigeren Preise zu bieten. Das Ergebnis hat sich bereits eingestellt: ein guter Verkaufserfolg.